Cover
Titel
Corpus Inscriptionum Regni Bosporani. Album Imaginum (CIRB-album). Korpus bosporskih nadpisej. Al'bom illûstracij (KBN-al'bom)


Herausgeber
Gavrilov, Alexander Konstantinovič
Erschienen
Anzahl Seiten
XVI, 432 S., 2 CD-ROMs (12 cm), 4 Faltkarten
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Kruschwitz, Corpus Inscriptionum Latinarum, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Seit Ende des Kalten Krieges haben die Studien auf dem Feld des Klassischen Altertums in den aus der UdSSR hervorgegangenen Ländern bedeutend zugenommen und an Qualität gewonnen. Gleichwohl ist es, in der Summe, noch immer schlecht um sie bestellt; und in Zeiten knapper Kassen gibt es in der allgemeinen Wahrnehmung (und natürlich auch ganz objektiv) wichtigere Dinge als die Befassung mit dem griechisch-römischen Altertum. Es ist hier nicht der Ort, die vielfältigen Bemühungen und Einzelinitiativen höchst begabter junger russischer Forscher im Einzelnen aufzulisten, um die qualitative und quantitative Verbesserung der Forschung nachzuweisen. Ein Projekt jedoch, das in besonderem Maße positive Außenwirkung entfaltet hat, ist die Bibliotheca Classica Petropolitana, die durch den unermüdlichen Einsatz ihrer Mitarbeiter - allen voran Alexander Konstantinovič Gavrilov - in den letzten Jahren der internationalen wissenschaftlichen Öffentlichkeit bekannt geworden ist und die Zeitschrift Hyperboreus. Studia Classica Petropolitana herausgibt.

Bereits im Hyperboreus ist man darauf bedacht, an die nicht unbedeutende Tradition epigrafischer Studien anzuknüpfen, die bis auf die Zeit des zaristischen Russland heraufreicht und auch in UdSSR-Zeiten nicht abriss, und es findet sich manch wertvoller epigrafischer Beitrag in diesem Periodicum. Die im Folgenden anzuzeigende Publikation, ein Bildband zum Corpus Inscriptionum Regni Bosporani, ist nun eine erste bedeutende epigrafische Buchpublikation der Bibliotheca Classica Petropolitana (in Gemeinschaftsarbeit mit dem Historischen Institut der Petersburger Universität), die ohne Zweifel auf breiteres internationales Interesse stoßen wird.

Das Corpus Inscriptionum Regni Bosporani, in Fachkreisen und im Folgenden mit der Abkürzung CIRB bezeichnet, erschien 1965 und basierte im Wesentlichen auf der bereits im 19. Jahrhundert begonnenen Forschertätigkeit des russischen Gelehrten Vasilij Latyšev. Das CIRB dokumentiert die Epigrafik des Bosporanischen Reiches, einer hellenischen Staatenbildung an der Nordküste des Schwarzen Meeres am so genannten Kimmerischen Bosporus, der Meerenge von Kerč. Allgemein als Mangel empfunden wurde bei der Publikation des CIRB, das das Material nicht zugleich auch fotografisch präsentiert wurde. Dieser Mangel wird nun nach über vierzig Jahren auf der Grundlage zahlreicher Vorarbeiten und Bemühungen mehrerer Forschergruppen durch die von Alexander Gavrilov verantwortete sowie von Natalja Pavlichenko, Denis Keyer und Anatolij Karlin ausgeführte Publikation eines Albums behoben.

Im Mittelpunkt des Albums stehen knapp 340 Seiten mit vorzüglichen Schwarz-Weiß-Fotografien (auf Hochglanzpapier; zum Teil mit Umzeichnungen) von Inschriftenträgern und gegebenenfalls auch von Abklatschen; es folgen darauf etwa 50 Seiten mit einem knapp gehaltenen epigrafischen Kommentar zu den einzelnen Inschriften, worin in vorbildlicher Art und Weise Material- und Maßangaben, Aufbewahrungsorte (mit Inventarnummern der Museen) und Autopsievermerke gegeben sind. Einzig Hinweise auf etwa vom CIRB abweichende Lesungen oder auch auf neuere Literatur zu einzelnen Inschriften sucht man leider vergebens. Diesem Hauptteil, der allein den Wert der Publikation bestimmt, geht eine Einleitung voran, die neben editorischen Notizen Angaben zu den Institutionen macht, in welchen sich die Inschriften befinden, und eine Findliste zu den einzelnen Inschriften beinhaltet. Auf den Hauptteil folgt ein Abriss der etwas verwickelten Publikationsgeschichte des Albums, Verzeichnisse zu den Abklatschen und zu Geographica sowie als Beigabe noch vier aufwendig reproduzierte geografische Karten des dokumentierten Gebietes.

Ein besonderer Dienst am Leser ist die Beigabe von zwei CD-ROMs, auf welchen die gesamte Publikation in Form von pdf-Dokumenten (unter Beifügung einer Version des Acrobat-Readers) zu finden ist (technische Ausführung von Igor Egorov, Konstantin Katenin, Vladimir Sinelnikov). Hier folgen Bild- und Kommentarteil nicht aufeinander, sondern stehen, was man als glückliche Entscheidung werten muss, in direkter Konfrontation. Weder beim Macintosh noch bei einem Windows-Rechner konnten irgendwelche Einschränkungen in der Benutzbarkeit festgestellt werden. Vom heutigen Standpunkt aus muss man den Herausgebern für diesen wunderbaren Dienst also uneingeschränkt danken. Wird man aber in zehn Jahren noch imstande sein, etwas mit den Daten oder auch nur den Datenträgern anzufangen? Halten diese selbst physisch so lange? (Die Daten lassen sich aber freilich mühelos auf die Festplatte kopieren.) Es wäre immerhin im Bereich der Epigrafik nicht das erste Mal, dass die gewählte Publikationsform dem technischen Fortschritt nicht standhält - man denke etwa an die etwas unglückliche Idee, den ersten Bänden von CIL II² Abbildungen auf Microfiches beizugeben (einmal abgesehen von der recht verhaltenen Freude der Bibliothekare, die darauf bedacht sein müssen, das Material vor Diebstahl zu sichern). Diese Erwägungen dürfen aber den Respekt vor der technisch herausragenden und absolut zeitgemäßen Realisierung durch die Autoren nicht einschränken.

Ein letzter Punkt, der anzusprechen ist - die sprachliche Gestaltung der Bände -, lässt mich in toto etwas ratlos zurück. Der Band enthält Abschnitte in russischer sowie in lateinischer Sprache. Beides kann nicht unkommentiert bleiben. Die Beiträge in russischer Sprache wurden allesamt nicht zu knapp, aber durchaus auch nicht vollständig ins Lateinische übersetzt abgedruckt. Grundsätzlich möchte man es niemandem verdenken, wenn er in seiner Muttersprache publiziert. Aber wer Gehör zu finden beabsichtigt, muss auf lange Sicht bereit sein, auf diesem Gebiet gewisse Zugeständnisse zu machen. Man möchte meinen Einwand nicht als arrogant oder herablassend missverstehen: Aber auf dem Gebiet der antiken Epigrafik hätte man sich besser vollständig einer der 'offiziellen' Sprache der AIEGL bedienen sollen, und dies aus einem einzigen Grund: um verstanden und mithin rezipiert zu werden. Es ist ja ohnehin ebenso anerkennenswert wie unökonomisch, dass man sich auf dem Gebiet der Klassischen Altertumswissenschaften noch immer nicht einheitlich einer lingua franca bedient, wie dies in anderen Disziplinen mit gutem Grund längst üblich ist. Wie lange dieser Zustand noch anhalten wird, ist eine andere Frage.

Das Latein der Autoren ist überdies insgesamt recht durchwachsen, wie an einer nur ganz minimalen Auswahl von Beispielen gezeigt sei (ich beschränke mich hierbei auf die zufällig ausgewählten S. 378f.): Unter der Überschrift Tituli sepulcrales resp. dedicatorii figurieren etwa im Falle der Nummern CIRB 941-943 jeweils nur eine Inschrift; warum also nicht Titulus sepulcralis resp. dedicatorius? Tabula marmoris albi mag man (anstatt von Tabula ex marmore albo) vielleicht gerade noch eben tolerieren; was aber ist eine "basis marmoris albi" (CIRB 953)? Ist "in Museo Chorognosiae" wirklich eine adäquate Latinisierung? Die Zusammensetzung "CIRB-editores" (etwa im Falle von CIRB 928) ist unerträglich; warum nicht einfach "auctores CIRB" oder ähnliches? Das gilt im Übrigen auch für die (von den Autoren selbst als reichlich unlateinisch diagnostizierte) Bezeichnung CIRB-album für das Gesamtwerk. Warum schließlich "Lacus Tobečikskoe* dictus" statt besserem "Lacus q. d. Tobečikskoe"?

Diese sprachlichen Quisquilien dürfen aber, so muss das Resümee lauten, nicht von den unbestreitbaren und bleibenden Verdiensten der Herausgeber ablenken, die mit diesem Album in technisch vorbildlicher Art und Weise das interessante epigrafische Material des bosporanischen Reichs dokumentiert haben.

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